Der Roman Herr Anselm des Bündner Autors Arno Camenisch dreht sich um das Leben von Herrn Anselm, welcher am Grab seiner Frau steht und ihr die neusten Ereignisse in seinem Leben als Abwart, in einer Bündner Bergtal Schule, schildert. Eine wunderbare Erzählung, welche mit wenig Handlung trotzdem viel berichtet.
Selina Meier
Die Schule soll geschlossen werden: dies ist der Ausgangspunkt des Buches. Die Rahmenhandlung wirkt auf die Lesenden tagebuchartig, da er sich ausschliesslich an ihrem Grab aufhält, das Grab pflegt, Rückenübungen macht und Kaffee trinkt, während dem er einen Monolog führt (es könnte auch als Dialog im weitesten Sinne betrachtet werden, da er mit einer, zwar verstorbenen, Person spricht).
Das Schiff sinkt
In der Binnenhandlung geschieht aber doch viel mehr. Das Schiff, wie Anselm seine Schule nennt wird untergehen. Der Gemeindepräsident will die Schule schliessen. So finden sich viele verschiedenen Episoden über Lehrpersonen, Bewohner des Dorfs und die Schülerschaft in Bezug zu der momentanen Situation. Er bezeichnet sich selbst auch als den Joker des Schulhauses, denn wenn ein Lehrer ausfällt , übernimmt er gerne die Vertretung: „[…] ich halte das Schiff solange auf Kurs“ (S. 50). Als Abwart bleibt er die Konstante, schliesslich ist er seit 33 Jahren Abwart und steuerte bisher die Schule in die richtige Richtung.
Wandeln und Verschwinden
Wenn die Schule geschlossen wird, gäbe es diese Instanz nicht mehr, denn die gute Seele des Dorfs, der Kapitän des Schiffes würde mit dem Schiff untergehen und so verschwinden. Der thematische Schwerpunkt des Buchs liegt im Verschwinden, sowie der Zukunftsangst.
Durchaus ist das Buch aber alles andere als traurig. Herr Anselm schwelgt auch in Erinnerung über die Reise nach Paris, die er mit seiner Frau unternommen hat und erzählt ihr von dem Polaroid-Foto, welches er immer in seiner Brusttasche trägt. Herr Anselm hat seinen eigenen Charme und Humor, was den Lese-Moment kurzweilig macht. Seine Haltung passt zu der Figur. Aktuellen Themen, wie der Klimawandel oder die gegenwärtige Politik werden bewusst thematisiert. Wenn er beispielsweise vom „Bschissi- kopf aus America“ spricht, ist ziemlich klar wer gemeint ist.
Sprache wirkt verschlingend
Durch die unverwechselbare Sprache und Melodie versinkt man fast in seiner kurzweiligen Erzählung, unter anderem durch die eigenen Erinnerungen an die Schulzeit. In gewissen Teilen verschlingt die Sprache einem fast und man vergisst, dass es sich bei dem Erzählten nur um einen einzigen Tag handelt und er sich dauerhaft am Grab seiner Frau befindet. Unter anderem durch die Dialekt- und Rätoromanischen-Wörter wird die Erzählung einzigartig. Zudem scheint er in einer Art Schweizerhochdeutsch zu schreiben, was den Leseprozess zu beginn erst ungewohnt erscheinen lässt, den Text aber lebendig hält.
Spannend ist die Wortkombinationen aus dem ersten Wort des Buches: „Schau“ und dem letzten: „verschwindet“. Durch die 100 Seiten geschieht ein Wandel. Es scheint, dass das Dorf mit der Schliessung der Schule in die Gegenwart katapultiert wird und so den Wandel den Zeit mitmacht.
Quellenangabe: Herr Anselm von Arno Camenisch, Engeler-Verlag, Erste Auflage im August 2019, 100 Seiten, CHF 25.-.
Titelbild: Arno Camenisch. @Janosch Abel
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