Mit Manga auf sportliche Entdeckungsreise durch die japanische Popkultur
Olympische Spiele in Tokyo vom 23. Juli bis 08. August 2021 und es wird für Kinder und Jugendliche spannend. Bis zum 21. November 2021 bietet das Olympische Museum in Lausanne ein spannendes Programm, das den Spielen der XXXII. Olympiade und der japanischen Popkultur gewidmet ist. Sport dient in den Manga als Lebensschule und das ist genau, was der Olympic Spirit vorschlägt. Wir fragten Evelyne, die Kulturvermittlerin des Olympischen Museums Lausanne, weshalb Kinder und Jugendliche Mangas lieben. Man muss nämlich nicht Japaner sein, um Judo zu treiben, man muss auch nicht Japaner sein, um Manga zu lesen oder zu zeichnen. Solange man die Regeln kennt, kann man mitmachen.
«Bei Manga geht es nicht nur um Entertainment, sondern auch um ethische Werte und Weltanschauungen.» Kulturvermittlerin Evelyne, Olympisches Museum Lausanne.
Evelyne, Olympic Spirit mit Mangas für Kinder. Was ist die Idee dahinter?
Bei Manga geht es nicht nur um Entertainment sondern auch um ethische Werte und Weltanschauungen. Es gibt viele Arten von Manga, darunter eben Sport-Manga. Diese richten sich hauptsächlich an Teenager und junge Erwachsene. Je nach Epoche und Zielpublikum vermitteln die Manga Werte, die sich mit den olympischen Werten überschneiden. Es werden Figuren präsentiert, die sich weiterentwickeln, um ein Ideal zu erreichen. Freundschaft ist die erste Tugend. Dazu kommen Werte wie Durchhaltevermögen, über sich selbst hinauswachsen, Teamgeist und die Beziehung zum Mitbewerber wertzuschätzen. Sport dient in den Manga als Lebensschule und das ist genau, was der Olympic Spirit vorschlägt. Sport, wenn er richtig eingesetzt wird, erlaubt es einem sich selbst besser kennenzulernen und sich so als Einzelner wie auch als Teil der Gesellschaft zu erfüllen.
Warum lieben Kinder und Jugendliche Mangas?
Es gibt mehrere Gründe. Ein Teil des Erfolges, denke ich, kommt von der Möglichkeit sich stark mit den Figuren und den Themen zu identifizieren. Die Autoren schaffen echte Geschichten mit Dramaturgie. Aussergewöhnlichen Aktionen finden in vertrauten Umgebungen statt wie beispielsweise in der Schule, der Nachbarschaft oder im Sportclub. Die Figuren sind dem Leser vom Alter oder vom Charakter her (in der Art einer Sitcom) ähnlich: Der Held, der Schlauberger, der Angeber, der Große, der Dicke mit Brille. Der Leser identifiziert sich mit denen aufgrund ihrer zutiefst menschlichen Eigenschaften. Diese Figuren müssen sich mit Problemen und Themen auseinandersetzen, die alle Jugendlichen nachfühlen können: Freundschaft, Beziehung zu den Eltern, den Lehrkräften, Eifersucht, Liebe, manchmal auch Sexualität, Gewalt, Tod, usw.
Manga sind zu festen Bestandteil der Lesegewohnheiten von Teenager geworden. Es erlaubt dem Leser in eine andere Welt einzutauchen. Das erklärt meiner Meinung nach auch den grossen Erfolg. Manga sind zu einem kulturellen Universum geworden, das für Teenager spezifisch ist und sich meistens von dem ihrer Eltern unterscheidet. Manga ist wie eine Kultur, durch die eine neue Generation sich selbst erkennt, ihre Andersartigkeit behauptet und nach einer Identität sucht. Manga ermöglichen den Teenagern, eine eigene Kultur zu schaffen, eine kulturelle Referenz, die von der gesamten Peer-Group geteilt wird. Dieses «unter sich» vermittelt eigene Codes (z. B. Kleidungsvorschriften) und bietet eine einzigartige soziale Beziehung durch den Austausch von Büchern, Adressen von spezialisierten Buchhandlungen und Zusammenkünften, die dem Manga gewidmet sind.
Warum sollten Mangas von Problemen in Schule, Familie und unter Freunden ablenken?
Die Ablenkung vom Alltag ist ein universelles Bedürfnis unserer Gesellschaft. Erzählungen gehören zu den Instrumenten, die dies erlauben: Romane lesen, Serien oder Filme schauen. Manga haben alle Elemente einer Fiktion. Dadurch ist es möglich, der realen Welt zu entfliehen. Gleichzeitig vermittelt es eine realistische Botschaft über das Leben. So haben Manga auch eine pädagogische Kraft. Die Handlungen befassen sich mit denselben Problemen wie die Jugendlichen in ihrem realen Leben antreffen. Die Helden finden immer einen Ausweg. Sie sind aber weit davon entfernt, unbesiegbare Helden zu sein, die Charaktere erleiden nämlich Niederlagen, Rückschläge und Demütigungen. Sie überwinden diese Situationen und lehren den Lesern Durchhaltevermögen. Der Manga ermöglicht es uns also, die menschlichen Reaktionen zu erforschen, die sich im Falle einer Krise zeigen. Die meisten Extremsituationen erlauben dem Leser seine eigenen menschlichen Reaktionen zu erforschen, die in einer Krise zum Vorschein kommen. So erlauben Manga nicht nur Ablenkungen, sondern auch eine Art von Heilung.
Sie bieten Führungen durch die Ausstellung mit Kindern und Jugendlichen an. Welche Inhalte vermitteln Sie?
In der Einleitung geht es darum einen Teil der Entstehungsgeschichte vom Manga zu zeigen: Das Zusammenkommen von traditionellen japanischen Erzählungen und die Bildherkunft sowie der Einfluss der amerikanischen Comics nach dem zweiten Weltkrieg. Dann geht es darum zu zeigen, was die grafischen Eigenschaften von Manga sind und wie wichtig der Ausdruck von Emotionen und Gefühlen ist. Dann lernt man anhand von Beispielen die berühmtesten Sportmanga-Helden kennen. Ihre Umwelt, ihre Ziele, ihre Eigenschaften, ihre Schwierigkeiten und ihre Erfolge. Bei gewissen Beispielen geht es darum zu zeigen, dass die Sport-Manga die japanische Gesellschaft sehr geprägt haben, aber eben auch umgekehrt. Es ist zum Beispiel klar, dass durch Manga das Interesse der Japaner für gewisse Sportarten entstanden ist, zum Beispiel das Interesse für Fussball durch «Captain Tsubasa» oder für Basketball aufgrund von «Slam Dunk».
Sport-Manga zeigt viel über den Sport in Japan. Was unterscheidet den Sport zu unseren Kulturen?
Ausserschulische Aktivitäten spielen eine wichtige Rolle im Alltag der japanischen Jugend. Die meisten von ihnen betreiben eine oder mehrere Sportarten in einem Verein an der Schule.
Wettbewerbe zwischen Oberschulen (High Schools) sind sehr bekannt und ein extrem wichtiges Thema für die Schüler. Manchmal auch für die ganze japanische Gesellschaft. Während in Europa Schulmeisterschaften in alten Turnhallen durchgeführt werden und weit und breit keine Kameras zu sehen sind, werden in Japan aus minderjährigen Oberschülern Medien-Ikonen. Das Koshien, ein Baseball-Turnier, ist das offensichtlichste Beispiel: Bei den Baseballmeisterschaften der Oberschulen (High Schools) schauen Millionen zu. Diese Turniere sind ein gewaltiges Stück japanische Identität.
Welches Programm empfehlen Sie für Kinder zur Eröffnung der Spiele 2021?
Ich empfehle Kindern, die Ausstellung mit der Familie zu besichtigen, denn die Ausstellung ist sehr interaktiv. Man kann diverse Aktivitäten ausführen:
- Der spezielle Schuss von Captain Tsubasa, also den «Drive Shoot» nachmachen
- Die Mimik der von TEZUKA Osamu gezeichneten Figuren entdecken. Dabei versucht man herauszufinden welche Emotion bzw. welches Gefühl zu welcher Mimik passt.
- Auf einem elektronischen Spielautomaten im Stil des 80er-Jahre kann man japanische Lautmalereien spielerisch entdecken
- Man kann in den Sitzkissen versinken und die berühmtesten Sport-Manga lesen oder Trickfilme schauen
- Fotos von sich selbst machen in nachgemachten «Schlafkapseln» die in Japan als Lowcost-Hotel dienen. Das Portrait wird natürlich in Manga Grafik hergestellt und kann per E-mail abgeschickt werden.
- Einen Wunsch oder eine Zeichnung auf ein Ema, das ist ein japanischer Wunschzettel, aufschreiben oder zeichnen.
Eine neue Augmented-Reality-App bereichert die Besichtigung der Ausstellung. Sie lädt zur Kreativität ein, indem sie die Begegnung zwischen der japanischen Kultur und der Umgebung des Benutzers fördert. Indem der Benutzer eine erweiterte Collage aus einer Bibliothek von Bildern erstellt, kann er reale und virtuelle Elemente zusammenleben lassen und so poetische, unerwartete, komische und fantastische Effekte hervorrufen! Die App ist gratis im Museum und auf On the way to Tokyo – Parcours poétique en Réalité Augmentée* (olympics.com) erhältlich.
Man kann auch durch eine Reihe von kostenlosen Aktivitäten in die japanische Kultur eintauchen: Das Programm «Live the games» schlägt vor, zu lernen, wie man Kendama (japanisches Bilboquet) spielt, wie man ein Furoshiki wickelt (Kunst des Faltens japanischer Stoffe) oder sich dank eines Greenscreens in ein Sport-Manga-Universum mit den passenden Kakimoji’s (japanische Lautmalereien) zu integrieren.
In Zusammenarbeit mit dem Bolo-Museum in Lausanne können die Besucher Sake (japanischer Reiswein) probieren, eine Manga-Maske basteln oder Videospiele aus einer anderen Zeit ausprobieren. Um teilzunehmen, müssen sich Besucher am Tag der Aktivität anmelden (auf Französisch: je nach Verfügbarkeit).
Welche Wünsche sind offen?
«Comics sind eine internationale Sprache, sie können Grenzen und Generationen überschreiten. Sie sind eine Brücke zwischen allen Kulturen.» – Osamu TEZUKA. Dies gilt genauso auch mit Sport. Die Universalität des Sports trifft die der Comicsprache. Man muss nämlich nicht Japaner sein, um Judo zu treiben, man muss auch nicht Japaner sein, um Manga zu lesen oder zu zeichnen. Solange man die Regeln kennt, kann man mitmachen.
Titelbild: Eine neue Augmented Reality (AR) App macht Ihren Besuch noch angenehmer. An sechs Orten können Sie die poetische Seite Japans zur Spielzeit erkunden!
Das Programm im Olympischen Museum während der Olympischen Spiele
Das Olympische Museum Lausanne ist ganzjährig von Dienstag bis Sonntag von 9 Uhr bis 18 Uhr geöffnet.
Neueste Kommentare