Fachärzt*innen und Psycholog*innen behandeln Kinder und Jugendliche mit Burnout. Die Ursachen sind vielfältig. In einem Referat vor einer Elterngruppe, ging Dr. med. Kurt Albermann auf Ursachen, Symptome und Massnahmen ein. Rat und weitere Informationen gibt es unter dieser Adresse: www.iks-ies.ch
Immer häufiger klagen Kinder über Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Sie leiden unter dem ständigen Erfolgs- und Leistungsdruck. Kurt Albermann, der Chefarzt am Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) Winterthur sensibilisierte an einem Elternabend über die Auswirkungen von Burnout bei Kindern. Der Facharzt hält Vorträge.
Burnout ist vor allem als Krankheit von Berufstätigen bekannt. Permanente Erschöpfung tritt häufig auch bei Kindern und Jugendlichen auf – Überforderung und Überlastung können zu Lustlosigkeit, Leistungsabfall und Depression führen. Psychische Erkrankungen zählen in jedem Lebensalter zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Die Auswirkungen für Betroffene, die Umgebung und die Gesellschaft sind gross.
Psychische Schmerzen oder Störungen seien nicht so sichtbar, wie ein gebrochenes Bein, sagte Albermann. Wenn der Alltag zu Hause, in der Schule oder im Beruf nicht mehr funktioniert und Leiden entsteht, wenn man selbst oder die Familie nicht mehr weiterkommt, ist professionelle Hilfe wichtig, zum Beispiel von Psycholog*innen. Die Einschätzung der Situation erfordere neben viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen ein umfangreiches Wissen aus Medizin, Psychiatrie/Pädiatrie/Neurologie, Psychologie, Pädagogik und Psychotherapie.
Nicht jeder Stress führt zu Burnout
«Auch nicht jedes Stress- oder Erschöpfungsgefühl ist ein Burnout», sagte Kurt Albermann. Oft kann es sich um ein kurzfristiges Problem handeln. Körperlicher und sozialer Ausgleich zum Stress im Alltag und verlässliche Beziehungen seien deshalb wichtig.
Ständig auf WhatsApp, Instagram oder Facebook zu sein, ein Tag gefüllt mit Schule und Aktivitäten. So sieht heute der Alltag vieler Kinder und Jugendlicher aus. Sie kommen nicht zur Ruhe. Das entfremde vor der Realität. Der Kinderarzt warnte vor Burnout bei Kindern. In der Tat steigen bei Jugendlichen die Erwartungshaltung, der Leistungsdruck, das Tempo in der Schule, im Elternhaus, im sozialen Umfeld. «Die Eltern und die Schule und damit die Kinder und Jugendlichen werden permanent mit höheren Ansprüchen konfrontiert», sagte Albermann.
Betroffene Persönlichkeiten
Erschöpfungssyndrome wie Burnout tauchen jedoch immer häufiger auf. Natalie Rickli oder Sahra Wagenknecht sind Beispiele für namhafte Frauen aus der Politik, die sich öffentlich zu ihrem mittlerweile zurückliegenden Burnout bekannt haben. Albermann erwähnte ein weiteres Beispiel einer prominenten Persönlichkeit, die wegen eines Leidens, das zu den psychischen Störungen zählt, verspottet wurde: Joe Biden, der amtierende amerikanische Präsident, habe als Kind gestottert, sich später intensiv und erfolgreich auf Reden vorbereitet und gelernt, Hürden und Ängste zu überwinden.
Statistische Zahlen belegen, dass fast jedes zweite Kind über aktuelle oder zurückliegende psychosomatische Beschwerden berichtet. «Mit den Lockdowns in der Covid-19-Krise hat dieser Anteil noch zugenommen», sagt Albermann weiter. Und es zeige sich, dass die Eltern dadurch stark gefordert, aber häufig auch überfordert seien. Ein Burnout während der Schulzeit oder zu Beginn von Studium oder Ausbildung sei keine Seltenheit mehr.
Präventiv gegen Burnout
Ein bedeutsamer Faktor sei die Schule. Für eine gesunde Entwicklung sollten Kinder und Jugendliche ihren individuellen Begabungen entsprechend gefördert werden. Als Prävention gegen Burnout bei Kindern sollten sich Lernziele an den Fähigkeiten der Kinder orientieren, rät der Facharzt. Es gelte, an den Schulen gemeinsam mit Lehrpersonen, Schüler*innen und Eltern eine gemeinsame Kultur gegenseitiger Wertschätzung, des Lernens und Wachsens zu schaffen. Das Vermitteln von Achtsamkeit, Selbstwirksamkeit, Lern- und Bewältigungsstrategien sowie sozioemotionaler Kompetenzen, sich gesund zu ernähren und ausreichend zu bewegen sind weitere präventive Massnahmen. In einem kreativen Umfeld gelingt es Kindern und Jugendlichen, intrinsische Motivation und Freude an nachhaltigem Lernen zu entwickeln. Das bedeutet Schule fürs Leben, nicht Leben für die Schule.
Albermann erklärte den Eltern in seinem Referat auch, den Medienkonsum der Kinder zu überprüfen. Es sei wichtig gemeinsam mit dem Kind eine altersangemessene Zeitdauer für die Nutzung zu definieren. Die Leistungsanforderungen seien gestiegen. Sozialer Stress spiele bei den Jugendlichen eine grosse Rolle. Junge Leute suchen Kontakt, Akzeptanz und Herausforderungen, vergleichen sich untereinander. Dazu tragen heute vor allem auch soziale Netzwerke bei. «Ständige Bewertung und Online-Präsenz in allen Bereichen wird zwar selten so wahrgenommen. Sie stellt aber eine enorme Belastung dar und schafft hohen Druck», so der Experte.
Wie alles beginnt
Ein Erschöpfungssyndrom beginne schleichend, Familie und Freunde und auch Betroffene selbst merken das nicht gleich. «Hinweise für chronische Überlastung zeigen sich bei Kindern häufig durch Kopf- und Bauchschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen. Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Muskelverspannungen und Leistungseinbrüche können hinzukommen. Das Gefühl, ständig ausgelaugt, nichts wert zu sein oder zu versagen, innere Leere, Spielunlust oder vermehrtes Gamen oder Medienkonsum führen zu sozialem Rückzug und Isolation – und die Symptome nehmen weiter zu», sagt Albermann.
Immer schneller, immer weiter und höher
Ein wenig liege das in der Natur des Menschen. Der Grund ist: Das Belohnungssystem des Gehirns werde so stimuliert und dies führe zu Lustgewinn. Allerdings können überhöhte Leistungsansprüche und suchtartiger Medien- oder Drogenkonsum sich gegenseitig bedingen. Auf unterschiedliche Weise führen sie zum Beispiel zu reduziertem Schlaf, zu Schlafstörungen, zu Stress und Überlastung, respektive können eine Folge davon sein. Der Gehirnstoffwechsel von Jugendlichen funktioniert anders, häufige und extreme Stimmungsschwankungen sind nicht selten. Dazu zählt auch Niedergeschlagenheit oder impulsives Verhalten. Anhaltend abweichendes Verhalten, wie Selbstverletzungen oder Drogenkonsum oder Hinweise für eine depressive Störung bedürfen der Abklärung und Unterstützung durch eine Fachperson.
Damit es nicht so weit kommt, sollten sich Jugendliche frühzeitig Hilfe holen. Die erste Anlaufstelle sei häufig die Familie, gute Freunde, Verwandte oder auch eine Lehrperson. Fachstellen, Telefonberatung aber auch anonyme Online-Chats bieten gut erreichbare und kompetente Ansprechpartner. Wenn dieser erste Schritt getan ist, geht es darum, die aktuellen Stressfaktoren zu verstehen – und für Entlastung zu sorgen. «Bekanntlich ist weniger oftmals mehr. Aber es geht nicht darum, einfach weniger zu machen. Denn es gibt guten Stress und schlechten Stress. Den Musikunterricht oder das Sporttraining sollte niemand streichen», so der Referent. Wenn hingegen Freizeitbeschäftigungen durch (zu) hohe Leistungsansprüche den Grund für chronische Überlastung darstellen, sind auch diese zu hinterfragen.
Eine Besucherin erkundigt sich, wie Gene psychische Störungen oder ein Burnout beeinflussen können. Hier werde aktive Forschung betrieben, sagte Albermann. Wirklich verhindern liessen sich psychische Erkrankungen nur bedingt. Verschiedene Temperamentseigenschaften und Empathie tragen dazu bei, sich bei ungünstigen Bedingungen rasch zu stabilisieren. Auch ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Eltern, stabile Beziehungen und das Gefühl von Geborgenheit fördere die seelische Balance. Es brauche auch Abgrenzung von Burnout und Depression. Beides könne gleichzeitig auftreten, doch brauche es Differenzierung, eine Depression sei ernst zu nehmen und angemessen zu behandeln.
Chronische Überforderung und Burnout von Kindern und Jugendlichen lässt sich wirkungsvoll verhindern.
Dies geschieht durch eine «sinnvolle Balance von Fordern, Fördern und Respektieren der individuellen Möglichkeiten und Grenzen». Um gesund zu bleiben sei es bedeutsam, die Seele auch mal baumeln zu lassen und sich zu langweilen. «Im Hinblick auf die eigenen und auf die Ressourcen unseres Planeten würden Kinder und Jugendlichen im Grunde die Vorbildfunktion der Erwachsenen benötigen. Unsere Lebensentwürfe und das Primat einer permanenten Leistungs- und Gewinnoptimierung unserer Gesellschaft sind kritisch zu hinterfragen», fügt Dr. med. Kurt Albermann an.
Kinder und Jugendliche mit psychisch oder suchterkrankten Eltern stellen ein ebenfalls häufiges Phänomen, aber eine nicht selten übersehene Klientel dar, es muss mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden. Gemäss Albermann gibt es zunehmend spezifische Versorgungsstrukturen und Beratungsangebote.
Titelbild: Der Referent Dr. med. Kurt Albermann, Kinderarzt und Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums Winterthur (SPZ) sensibilisiert auf das Thema Burnout bei Kindern.
Kantonsspital Winterthur
Sozialpädiatrisches Zentrum SPZ I Departement Kinder- und Jugendmedizin
Dr. med. Kurt Albermann
Chefarzt / Stv. Direktor
Albanistrasse 24
Postadresse: Brauerstrasse 15, Postfach 834 8401 Winterthur
Tel. 052 266 29 16
Fax 052 266 35 58
Kurzfilm «Was sind Depressionen». www.iks-ies.ch
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