Salome Kern hat alle Klassen auf ihren Reisen ausprobiert
Das Eisenbahnnetz in Indien verbindet nicht nur Sehenswürdigkeiten, sondern ist schon an sich ein Höhepunkt. Komfort gibt es in der ersten Klasse, Authentizität in der dritten und ein Gedränge in der nicht reservierbaren General Class. Wer sich richtig vorbereitet, erlebt eine einmalige Fahrt.
Salome Kern
Im Subkontinent Indien kommen Touristen auf ihre Kosten. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: Wanderer geniessen atemberaubende Aussichten im Himalaja, Städtereisende tauchen in das wilde Treiben in Delhi oder Mumbai, Sonnenanbeter tummeln sich an den Stränden Goas und Kulturbegeisterte freuen sich über den Anblick des Taj Mahals.
Doch Indien hat auch eine weitere Attraktion, mit der sich alle Besonderheiten des Landes verbinden lassen: die Eisenbahn. Das indische Schienennetz ist beinahe 70’000 Kilometer lang und damit das viertgrösste dieser Welt. Nur in den USA, Russland und China sind noch mehr Kilometer Schienen verbaut. Einheimische wie auch Touristen durchqueren damit ganz Indien oder nutzen den öffentlichen Verkehr für kurze Strecken, um den überfüllten Strassen aus dem Weg zu gehen. Das Plus für Reisende: Der Blick aus dem Zug beeindruckt immer wieder neu. Einerseits dank wunderbarer Landschaften, andererseits sieht man auch viel Leben, das einem sonst verschlossen bleibt.
Mandarinen im Abteil, Menschen auf der Gepäckablage
Wer beim indischen Eisenbahnnetz an überfüllte Züge denkt, bei denen die Hälfte der Passagiere auf dem Dach sitzt, kennt nur die halbe Wahrheit. Es gibt sie, die Klasse, für die man ein Billett kauft, aber keinen reservierten Sitz erhält. In diesen Abteilen kann es je nach Strecke und Zeit so voll werden, dass der Gang zur Toilette fast nicht mehr möglich ist. Menschen quetschen sich nebeneinander auf die harten Bänke, stehen in Gängen oder sitzen gar auf die Ablagen für Gepäck über den Sitzen. Es ist ein Erlebnis, in dieser Klasse zu reisen – sowohl für die Touristen wie auch für die Einheimischen, die es sich nicht gewohnt sind, dass Europäer neben ihnen sitzen. Mandarinen, Äpfel oder Kekse werden grosszügig verteilt, es wird gelacht und gestaunt.
Doch es gibt auch Wagen für die reichen Passagiere, die mit mehr Privatsphäre daherkommen. Seit 170 Jahren existiert die “Indian Railway”. 1891 wurden die ersten Toiletten eingebaut für die Reisenden der ersten Klasse und 1907 auch für die tieferen Klassen. Manchmal sind es westliche Toiletten, manchmal sind es die für asiatische Länder typischen Hocktoiletten. Gerade zweitere werden für Ungeübte zur Herausforderung, wenn der Zug schwankt.
Bananen, Chai oder ganze Menüs – alles ist am Bahnhof erhältlich. Bild Salome Kern
Frischer Chai unterwegs
Ein Restaurant gibt es in den indischen Zügen nicht, aber hungrig bleibt in diesem Land trotzdem niemand. An den Bahnhöfen springen Händler in die Wagen und verkaufen Linsen-Dal, Naan, Chips oder Süssigkeiten.
Hört man eine Stimme nach “Chai” rufen, sollte man sich umsehen. Ein Mann mit Turban schleppt einen silbernen Teebehälter neben dem Zug her, späht nach Kundschaft. Die Einheimischen strecken ihre Hände durch die Gitterstäbe aus dem Fenster, die Münzen und der dampfenden Becher wechseln den Besitzer. Chai, also Tee, ist das unumstrittene Nationalgetränk der Inder, das Händler an jeder Strassenecke verkaufen. Schwarztee mit Kardamom, Zimt, Ingwer, Sternanis und Nelken, abgeschmeckt mit Milch und einer grosszügigen Portion Zucker.
Kein Durchkommen mehr im Zug.
Bild Salome KernEine Hocktoilette. Bild Salome Kern Kein Durchkommen mehr im Wagon der generellen Klasse. Bild Salome Kern
Von der Holzklasse bis zur First Class
Als Tourist gehört man in Indien automatisch zur oberen Klasse. Das Land vereinbart eine sehr reiche Oberschicht mit den sehr armen Unterschichten – ein Fakt, der sich auch am Zugsystem ablesen lässt. Je nach Klasse bezahlt man einen höheren Preis und geniesst mehr Komfort. Für kürzere Strecken eignen sich die Sitzklasse oder für unkomplizierte Reisende auch die nicht reservierbare Klasse. Wer aber beispielsweise von Neu Delhi nach Mumbai fährt, sitzt je nach Zug zwischen 15 und 27 Stunden im Zug. Bei diesen Distanzen ist es angenehmer, wenn man einen der Schlafwagen gebucht hat – in den heissen Regionen bevorzugt solche mit Klimaanlagen. Auch in den Schlafklassen gibt es grosse Unterschiede von der einfachen Sleeper Class bis zur First Class. Ab der 3. Schlafklasse wird einem frisch gewaschene Bettwäsche zur Verfügung gestellt.
Salome Kern weiss, dass es in der Nacht kalt wird und zieht sich warm an. Ein Affe sitzt auf dem Dach des Zuges. Bild Salome Kern
Doch es lohnt sich, die verschiedenen Klassen auszuprobieren, jede hat seinen eigenen Reiz. In den tieferen Klassen mag es manchmal zu heiss, zu kalt oder zu schmutzig sein, dafür kommt man mit Einheimischen ins Gespräch. Schlau packen ist deshalb enorm wichtig, dann ist der warme Pullover nah, wenn die kalte Nachtluft durch die Ritzen zieht. Auch Wertgegenstände sollten besser in einer kleineren Tasche und nahe am Körper getragen werden, besonders bei einer Fahrt während der Nacht. So oder so – eine Zugfahrt in Indien bleibt einem für den Rest des Lebens im Gedächtnis.
Titelbild: Belle Maluf, unsplash
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